Interview mit GKV-Hauptgeschäftsführer Dr. Oliver Möllenstädt
Dr. Oliver Möllenstädt (47 Jahre alt), promovierter Wirtschaftsingenieur, ist Hauptgeschäftsführer des GKV Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie e.V., der Dachorganisation der Kunststoffverarbeiterverbände in Deutschland. Als Dachverband bündelt der GKV die gemeinsamen Interessen seiner Trägerverbände AVK Industrievereinigung Verstärkte Kunststoffe, FSK Fachverband Schaumkunststoffe und Polyurethane, IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen und pro-K Industrieverband langlebige Kunststoffprodukte und Mehrwegsysteme. Mit einem Jahresumsatz von rund 69,4 Milliarden Euro und fast 313.000 Beschäftigten in über 2.985 Betrieben ist die Branche einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige in Deutschland.
Herr Dr. Möllenstädt, der GKV zog vor Kurzem bei seiner Jahres-Wirtschaftspressekonferenz Bilanz. Wie war das vergangene Jahr, wie geht es den Unternehmen der Kunststoffverarbeitung?
Die Kunststoff verarbeitende Industrie verzeichnete wie bereits 2023 rückläufige Umsätze. Der Umsatz der Branche ging 2024 um ca. vier Prozent zurück. Besonders stark gingen die Umsätze im Bausektor und im Automobilsektor zurück. Viele Unternehmen waren gezwungen, Personal abzubauen. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Industrien in Deutschland ist aktuell u.a. aufgrund der zu hohen Energiekosten, der hohen Löhne und Lohnnebenkosten und hoher Steuern nicht gegeben. Zudem lähmen Bürokratie und Berichtspflichten viele Unternehmen unserer mittelständisch geprägten Industrie. Eine Trendwende wird erst dann gelingen, wenn die Politik bessere Rahmenbedingungen für Wachstum und Investitionen schafft. Das bedeutet zuallererst Energiekosten runter und systematischer Bürokratieabbau.
Die Industrie bekennt sich klar zum Prinzip der Produktverantwortung und sieht im Schließen von Stoffkreisläufen einen zentralen Schlüssel für nachhaltiges Wirtschaften und damit auch für das Erreichen der Klimaziele. Ohne Rezyklate in ausreichender Menge und Qualität ist eine Kreislaufwirtschaft nicht umsetzbar. Die jüngste BKV-Studie zum Rezyklateinsatz und der Rezyklatverfügbarkeit zeigt allerdings auf, dass – unter der Annahme einer Erweiterung von Rezyklatquoten in gesetzlichen Regelungen wie etwa der EU-Verpackungsverordnung (PPWR) oder der geplanten Altautoverordnung (ELVR) – die verfügbaren Mengen nicht ausreichen werden. Was bedeutet dies für die Kunststoffindustrie und was ist zu tun?
Die Ergebnisse der BKV-Studie zur Rezyklatverfügbarkeit sind alarmierend. Wenn wir die Geschwindigkeit beim Ausbau des Rezyklatangebots in Deutschland bis 2030 nicht verdoppeln, steuern wir auf eine Rezyklatlücke von knapp einer Million Tonnen zu. EU-weit beträgt die Lücke 3,5 Millionen Tonnen. Deshalb müssen jetzt mehrere Hebel in Bewegung gesetzt werden: Wir brauchen mehr Kapazitäten sowohl im mechanischen als auch im chemischen Recycling. Wir müssen zusätzliche Inputströme für das Kunststoffrecycling erschließen: Im Haushaltsrestmüll und in den Gewerbeabfällen finden sich jeweils rund eine Million Tonnen Kunststoffe pro Jahr, von denen nur sehr geringe Anteile recycelt werden. Das muss sich ändern. Zudem brauchen insbesondere die Hersteller kontaktsensitiver Kunststoffverpackungen die Möglichkeit, die gesetzlichen Quoten notfalls auch über Zertifikate nachzuweisen. Die Zertifikate würden für den Rezyklateinsatz in anderen Kunststoffverpackungen ausgegeben, die ihre gesetzliche Quote übererfüllen.
Welche Erwartungen haben die Kunststoffverarbeiter an die neue Bundesregierung und ihre Initiativen für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe in Deutschland? Die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS), die im Dezember 2024 veröffentlicht wurde, soll zu einem Meilenstein für die zirkuläre Wirtschaft werden. In Deutschland stehen zudem Überarbeitungen gesetzlicher Regelungen wie etwa des Verpackungsgesetzes und der Gewerbeabfallverordnung an, auch EU-Regelungen wie die PPWR müssen umgesetzt werden, weitere werden folgen und der Clean Green Industrial Deal setzt einen neuen Rahmen. Welche Impulse braucht es aus Sicht der Industrie, damit die Unternehmen in eine wettbewerbsfähige Kreislaufwirtschaft investieren?
Die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) wurde vom Bundesumweltministerium gemeinsam mit der Wirtschaft, Wissenschaft und NGO erarbeitet. Die neue Bundesregierung sollte die in der NKWS vorgesehenen Maßnahmen zügig in die Wege leiten. Dabei sind insbesondere das bereits angesprochene System für Zertifikate für Rezyklate und kunststoffspezifische Substitutionsquoten auf EU-Ebene zu prüfen und idealerweise baldmöglichst umzusetzen. Weiterhin muss die Bundesregierung nun endlich den Paragraf 21 des Verpackungsgesetzes reformieren, sodass Recyclingfähigkeit und Rezyklateinsatz gefördert werden. Dabei soll die Bundesregierung nach unserer Vorstellung eine bürokratiearme und privatwirtschaftliche Lösung forcieren. Ein entsprechender Vorschlag der Systeme für eine Überarbeitung des Paragraf 21 Verpackungsgesetz liegt auf dem Tisch. Der in der letzten Wahlperiode des Deutschen Bundestages vorgelegte Entwurf für eine (kleine) Novelle der Gewerbeabfallverordnung ist aus unserer Sicht nicht ausreichend, um zu einer signifikant besseren Sortierung der Gewerbeabfälle und mehr Recycling von Kunststoffen beizutragen. Hier wären größere Ambitionen wünschenswert. Die Europäische Union ist aktuell damit befasst, konkretisierende Rechtsakte auf Grundlage der PPWR zu erarbeiten. Das ist wichtig, damit die Unternehmen Rechtssicherheit erhalten. Der Clean Industrial Deal der Europäischen Kommission soll den „Green Deal“ ergänzen, damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit wichtiger Industrien in Europa wieder hergestellt wird. Letzteres ist essenziell, damit die gesellschaftliche Akzeptanz für Nachhaltigkeit und Klimaschutz erhalten bleibt und die Industrie in Europa wieder wachsen kann. Investitionen in die Kreislaufwirtschaft setzen schließlich Wachstum der Industrie, niedrige Energiekosten und Bürokratieabbau voraus. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Europäische Kommission erste Vorschläge hierzu gemacht hat, die natürlich noch deutlich ausgeweitet werden müssen. Nicht alle Rechtsakte aus dem „Green Deal“ werden unverändert Bestand haben können.
Wie sind die Erwartungen der Industrie an eine Belebung der Konjunktur in Deutschland? Wie schätzen die Unternehmen in der Kunststoffverarbeitung die Aussichten für das Jahr 2025 ein?
Die Chance auf ein Ende der Rezession und neues Wachstum setzt entschlossene Strukturreformen in Deutschland voraus. Die künftige Bundesregierung muss diese jetzt schnellstmöglich konsequent einleiten. Nur wenn die Rahmenbedingungen für die Unternehmen deutlich besser werden und Planungssicherheit geschaffen wird, wird die Konjunktur wieder Fahrt aufnehmen. Die Industrie sollte dauerhaft von hohen Stromsteuern und Netzentgelten entlastet werden, überflüssige Berichtspflichten müssen entfallen, die Lohnnebenkosten gesenkt und wieder dauerhaft begrenzt werden und wir brauchen eine längst überfällige Unternehmenssteuerreform. In aller Klarheit: Wir brauchen jetzt wirklich einen großen Wurf. Für die Kunststoffindustrie könnte ein zusätzlicher positiver Impuls von der Messe K im Oktober 2025 in Düsseldorf ausgehen.
Herr Dr. Möllenstädt, herzlichen Dank für das Interview!
(April 2025, Foto: © GKV)