Seit Ende letzten Jahres hat die BKV mit Dr. Ingo Sartorius einen neuen Geschäftsführer. Sartorius war zuvor über 25 Jahre beim deutschen Verband der Kunststofferzeuger PlasticsEurope Deutschland tätig und leitete dort über viele Jahre den Geschäftsbereich Mensch und Umwelt (heute: Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft). In dieser Funktion war er auch mit Themen wie Marine Litter bzw. Kunststoffe und Umwelt befasst. Im aktuellen Interview befragen wir ihn zum Thema Kunststoffe in der Umwelt und den dazu geplanten Projekten der BKV.

Herr Dr. Sartorius, am 1. Dezember letzten Jahres haben Sie die Geschäftsführung der BKV übernommen. Damit stehen Sie auch für die Projektarbeit der BKV ein. Einer der Schwerpunkte der BKV ist das Thema Kunststoffe in der Umwelt. Mit diesem Thema hatten Sie sich bereits in Ihrer vorherigen Funktion bei Plastics Europe Deutschland befasst. Können Sie kurz Ihre grundsätzliche Herangehensweise an den Themenkomplex Kunststoffe in der Umwelt beschreiben?
Die Haltung der Kunststoffbranche zum Themenfeld Kunststoffe in der Umwelt ist eindeutig: Kein Kunststoff und kein Endverbraucherprodukt oder Abfall gehört unkontrolliert in die Umwelt oder in die Meere. Deshalb ist Littering unbedingt zu vermeiden. Die wirksamsten Mittel sind daher eine geordnete Erfassung und effiziente Verwertung der Endverbraucherabfälle. Die BKV liefert vor allem die fachliche Grundlage mit Daten und Fakten. Ihre Gesellschafter, in deren Auftrag die BKV agiert, decken die Breite der gesamten Kunststoffindustrie ab, also gleichermaßen die Branchen der Kunststofferzeuger, der Kunststoffverarbeiter und des Kunststoffmaschinenbaus.
Im Auftrag der BKV und mit Unterstützung der Verbände der Kunststoffindustrie in Deutschland und Österreich ist ein bisher einzigartiges Modell zu den Eintragspfaden von landbasierten Kunststoffabfällen in die Meere entstanden, mit dem sich die Mengen der Einträge abschätzen lassen. Das Modell „Vom Land ins Meer“ bezieht sowohl die europäischen Flussgebietseinheiten als auch die Küstenstrukturen – sogenannte NUTS – gemäß der etablierten Europäischen Statistik ein und verschafft dem Modell dadurch eine hohe Akzeptanz bei Verwaltung und Wissenschaft. Dies nicht zuletzt auch deshalb, da das Modell der Eintragspfade mit regionalen sowie Bundes- und Bundesländerbehörden hinsichtlich Praxisrelevanz reflektiert wurde. Das Modell der Eintragspfade wird ständig weiterentwickelt und mit Modulen bestimmter Teilthemen ergänzt.
Mit dem Modell „Vom Land ins Meer“ haben wir als erste praktische Anwendung die landbasierten Einträge aus Deutschland in die Meere Nordsee, Ostsee und Schwarzes Meer abgeschätzt. Das lässt sich prinzipiell auch auf andere Regionen und Länder anwenden. Unser Modell findet nicht nur in der Fachwelt zunehmend Beachtung, sondern hat auch schon Eingang in die internationale Normung gefunden, nämlich im Technischen Bericht ISO/TR 21960. Das ist wichtig, denn bei der Normarbeit geht es im Wesentlichen darum, um mit internationalen Standards eine einheitliche, vergleichbare und verlässliche Methodik und schließlich auch Datenbasis zu erreichen. Das ist auch der Grund, warum sich die BKV im Fachnormenausschuss Kunststoff des Deutschen Instituts für Normung e.V. (DIN) engagiert.
Auf der Grundlage sowohl des vorgestellten Modells der Eintragspfade als auch des Stoffstrombilds über Kunststoffe in Deutschland ist der BKV mit einer weiteren Studie über „Kunststoffe in der Umwelt“ jüngst eine wichtige Verknüpfung gelungen. Auf diese Weise ist es möglich, den Verbleib polymerer Werkstoffe – neben Kunststoffwerkstoffen auch Reifenabrieb, Farben, Fasern usw. – in der aquatischen und terrestrischen Umwelt abzuschätzen. Dabei ist eines der wichtigen Ergebnisse, dass Kunststoffe aus der Umwelt auch wieder einer geordneten Entsorgung zugeführt werden. Dieser Anteil macht immerhin etwa die Hälfte der Gesamtumwelteinträge aus.
Grundsätzlich aber ist es notwendig dafür zu sorgen, dass Kunststoffe gar nicht erst in der Umwelt landen. Deshalb ist auch das weitere Themenfeld der BKV mit Projekten im Bereich Kreislaufwirtschaft und Verwertungstechnologien von zentraler Bedeutung. Hier planen wir eine Reihe von Projekten, bei denen interessierte Unterstützer ausdrücklich willkommen sind.
Welche Projekte sind in der nächsten Zukunft als Beiträge der BKV zur Problemlösung zu erwarten?
Im Bereich Kunststoffe in der Umwelt steht ganz aktuell der Abschluss einer vertieften Betrachtung zu Pelletverlusten in der Kunststofferzeugung und -verarbeitung an. Damit werden unser Modell „Vom Land ins Meer“ und die Studie „Kunststoffe in der Umwelt“ weiter ausgebaut und verfeinert.
In den weiteren angesprochenen Themenfeldern Kreislaufwirtschaft und Verwertungstechnologien erwarten wir in Kürze die Fertigstellung der Studie zur Förderung des Rezyklateinsatzes. Darüber hinaus arbeiten wir an Analysen zu Recyclingpotenzialen für Kunststoffe aus Verpackungen wie auch aus anderen Sektoren. Schließlich engagiert sich die BKV bei der technologischen Weiterentwicklung von Recyclingverfahren, darunter ergänzende chemische Verfahren, welche in Kombination mit den etablierten und bewährten mechanischen Verfahren die Kreislaufwirtschaft wirksam vorantreiben werden. Diese Forschungsarbeiten stehen noch am Anfang und verlangen eine intensive Kooperation zahlreicher Akteure aus Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft. Der BKV ist es dabei gelungen, an staatliche Förderung beim Bundesforschungsministerium anzuknüpfen und dadurch einen vergleichsweise umfangreichen Projektrahmen zu erzielen.
Kunststoffabfälle in der Umwelt schaden massiv dem Image des Werkstoffs. Die Kunststoffindustrie hat diverse Maßnahmen initiiert, um Einträge zu verringern. Reichen diese aus oder ist aus Ihrer Sicht mehr zu tun?
Letztlich ist es entscheidend, inwieweit mit Endverbraucherprodukten und -abfällen geordnet umgegangen wird. Deshalb lautet die Antwort: ja, es muss mehr geschehen. Die Beiträge der Kunststoffindustrie allein werden nicht ausreichen, gleichwohl wir mit unseren Studien und Projekten die gesamte Kunststoffindustrie in ihrer Breite mit Erzeugern, Verarbeitern und Kunststoffmaschinenbauern vernetzen. Zusätzlich haben BKV und bvse bereits vor über 10 Jahren einen informellen Dialogkreis ins Leben gerufen, um wesentliche Fragestellungen rund um Kreislaufwirtschaft und Kunststoffrecycling im Austausch mit Recyclern zu beraten. Daraus sind wichtige Kooperationen entstanden. Ein Beispiel ist das alle zwei Jahre erscheinenden Stoffstrombild Kunststoffe in Deutschland.
Darüberhinaus ist es notwendig, dass die gesamte Wirtschaft in der Wertschöpfungskette eng zusammenarbeitet. Hier gibt es wichtige Ansätze, bei denen BKV aktiv unterstützt. Ein Beispiel ist etwa das von VCI und VDI federführend bearbeitete Projekt Chemistry-for-Climate, mit dem Ziel bis 2045 durch Kreislaufwirtschaft zu einer klimaneutralen Produktion beizutragen.
Neben reinen Industrieprojekten und -kooperationen ist es vor allem wichtig, dass sich die zentralen Akteure der Gesellschaft wie Verwaltung, Wissenschaft, Gewerkschaften bis hin zu Nichtregierungsorganisationen am Dialog beteiligen und an Lösungen arbeiten. So unterstützt BKV im Zuge ihres Profils der Faktenbasis insbesondere den Vollzug auf der Ebene der Bundesländer. Beispielsweise engagiert sich die BKV in Arbeitskreisen der Achten Niedersächsischen Regierungskommission. Diese Arbeiten werden voraussichtlich bis zum Sommer dieses Jahres fertiggestellt. Zudem ist BKV Mitglied des Runden Tisches Meeresmüll, welcher vom Bundesumweltministerium, Umweltbundesamt und dem Niedersächsischen Umweltministerium etabliert wurde. Auch das von BKV federführend bearbeitete und vom Bundesforschungsministerium geförderte Projekt MicBin gehört in die Reihe der Kooperationen, so auch mit Forschung und Wissenschaft.
(März 2022)