Globaler Süden am stärksten von Plastikmüll betroffen
Eine Studie zur weltweiten Plastikverschmutzung der Universität Leads kommt zu dem Ergebnis, dass in den am wenigsten entwickelten Ländern aufgrund fehlender Entsorgungsstrukturen der größte Teil der Abfälle unkontrolliert in der Umwelt landet. Die britischen Forscher sammelten für ihre Analyse umfangreiche Abfalldaten von mehr als 50.000 Städten weltweit. Datenlücken schlossen sie mit Hilfe künstlicher Intelligenz und von Computermodellen. Im Jahr 2020 wurden ihren Berechnungen zufolge weltweit mehr als 50 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle nicht ordnungsgemäß entsorgt. Mit mehr als neun Millionen Tonnen, umgerechnet einem Fünftel aller unsachgemäß entsorgten Kunststoffabfälle, liege Indien an der Spitze der globalen Plastikmüllverschmutzung.
Die Arbeit, die im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht wurde, sollte laut Autorenteam Informationen für die Vertragsverhandlungen in Südkorea über das UN-Plastikabkommen bereitstellen wie auch dazu beitragen, nationale und subnationale Aktionspläne für die Abfallbewirtschaftung sowie Verzeichnisse der Emissionsquellen zu entwickeln. Dazu haben die Forscher die Bewegungen und „Emissionen“ von Kunststoffabfällen in der Umwelt analysiert. Sie gingen von fünf landgestützten Kunststoffabfall-Emissionsquellen aus: nicht gesammelte Abfälle, Littering, aus Sammelsystemen, unkontrollierte Entsorgung sowie aus der Sortierung und Wiederaufbereitung stammende Emissionen. Als Emissionen definieren sie Materialien, die aus bewirtschafteten oder schlecht bewirtschafteten Systemen, in denen Abfälle aber noch einer Form von Kontrolle unterliegen, in ein unbewirtschaftetes System, also in die Umwelt, auf illegale Deponien oder eine unkontrollierte Verbrennung gelangt sind. Für die Studie sammelten die Autoren verschiedenste Daten – etwa zu Stoffströmen, Müllabfuhr und Abfallbehandlung – für 50.702 Städte weltweit und schlossen Datenlücken mittels maschinellem Lernens. Ein mit den Daten gefüttertes globales Modell lieferte Zahlen zu den meisten Staaten der Welt. Erstmals berücksichtigten die Forscher dabei auch den Kunststoffabfall, der offen verbrannt wird – sowohl auf Deponien als auch an anderen Stellen.
Im Ergebnis schätzt das Forscherteam die globalen Kunststoffabfall-Emissionen, die in das unbewirtschaftete System emittiert werden, auf 52,1 Millionen Tonnen pro Jahr. Davon würden rund 57 Prozent offen verbrannt und 43 Prozent entfielen auf nicht verbrannten Müll, welcher keiner Form der Bewirtschaftung oder direkten Kontrolle mehr unterliegt. Dieser Teil laufe Gefahr, über Land verteilt zu werden und in die aquatische Umwelt zu gelangen. Nicht eingesammelter Abfall stellt laut den Berechnungen die dominierende Emissionsquelle im Globalen Süden dar, wohingegen Littering die größte Emissionsquelle im Globalen Norden ist. Laut Analyse des Forscherteams ist Indien mit 9,3 Millionen Tonnen pro Jahr der größte Emittent von Kunststoffabfällen in die Umwelt. Den Schätzungen zufolge werden in Indien jährlich 5,8 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle aufgrund fehlender Entsorgungsstrukturen offen verbrannt, die restlichen 3,5 Millionen Tonnen verbleiben unkontrolliert in der Umwelt. Aber nicht nur in Indien ist das Problem fehlender Entsorgungsstrukturen der Studie zufolge besonders groß. Mit 3,5 Millionen Tonnen unsachgemäß entsorgtem Kunststoffabfall ist der afrikanische Staat Nigeria der zweitgrößte Plastikemittent, gefolgt von Indonesien (3,4 Millionen Tonnen) auf Platz drei und China (2,8 Millionen Tonnen) auf Platz vier. Zu den zehn größten Verursachern von Plastikmüll gehören außerdem Pakistan mit 2,8 Millionen Tonnen jährlich sowie Bangladesch und Russland mit jeweils etwa 1,7 Millionen Tonnen. Brasilien trägt 1,4 Millionen Tonnen bei, Thailand und der Kongo kommen jeweils auf 1 Million Tonnen. Die Werte für Nordamerika und die meisten europäischen Ländern liegen im Vergleich dazu bei weniger als 0,1 Millionen Tonnen. Deutschland kommt auf 7.725 Tonnen pro Jahr und landet damit auf Platz 731 in der Liste der Regionen.
Als Städte mit der größten Plastikverschmutzung wurden Lagos (Nigeria), Neu-Delhi (Indien), Luanda (Angola), Karatschi (Pakistan) und Kairo (Ägypten) identifiziert. Mehr als zwei Drittel aller Plastikemissionen entfallen laut Studie auf Länder der südlichen Hemisphäre mit Südostasien und afrikanischen Ländern südlich der Sahara als größte Verursacher dieses Abfalls. Das große Nord-Süd-Gefälle bei der globalen Verteilung der Plastikverschmutzung ist nach Ansicht der Studienautoren auf mangelhaftes Abfallmanagement der Regierungen zurückzuführen. „Ungesammelte Abfälle sind die größte Quelle der Plastikverschmutzung. Mindestens 1,2 Milliarden Menschen leben ohne Müllabfuhr und sind gezwungen, ihren Abfall selbst zu entsorgen, indem sie ihn oft an Land oder in Flüssen entsorgen oder in Lagerfeuern verbrennen“, erklärt Dr. Josh Cottom, Erstautor der Studie. Für Costas Velis, Professor für Umwelttechnik an der Universität Leeds, ist daher klar, dass „wir der südlichen Hemisphäre keineswegs die Schuld geben sollten.“ Ed Cook, Zweitautor der Studie, sagt: „In der Vergangenheit hatten politische Entscheidungsträger Schwierigkeiten, dieses Problem anzugehen, was zum Teil auf den Mangel an qualitativ hochwertigen Daten zurückzuführen ist. Wir hoffen, dass unser detaillierter Datensatz auf lokaler Ebene Entscheidungsträgern dabei helfen wird, knappe Ressourcen für eine effiziente Bekämpfung der Plastikverschmutzung bereitzustellen.“
Die Studienautoren plädieren für ein globales Abkommen, das verbindliche Regeln zur Reduzierung von Plastikmüll und zur Förderung von Recycling enthält. Ein solches Abkommen könnte ihrer Ansicht nach den Ländern helfen, ihre Abfallmanagementsysteme zu verbessern und gleichzeitig die Produktion von Einwegplastik zu reduzieren.
Quellen:
- A local-to-global emissions inventory of macroplastic pollution, Joshua W. Cottom, Ed Cook & Costas A. Velis, Nature (4.9.2024)
- PM Universitiy of Leads (4.9.2024)
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